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Infos, Tipps und Austausch zu Leben und Urlaub auf Madeira

 


Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren,
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23.08.15 10:55
Torwarttrainer 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Vier Tage in Santana (Teil 4)

Sommerschnee
Tischdecke

Bom dia

"Zieht euren Pullover an, kurz vor dem Sonnenaufgang ist es sehr kalt am Berg", rät Tino bevor wir aus dem Haus gehen.
Draußen ist es noch dunkel, nur die Sternenvielfallt und der abnehmende Mond lässt uns den Weg zum Gipfel erkennen.
Die Hühner im Stall lassen sich vom Lichtstrahl unserer Taschenlampen nicht aufwecken.

Mit dem Rücken am Gipfelstein erwarten wir die Morgendämmerung und den Sonnenaufgang.
Der Hahn kräht, die Sonne geht auf.
Über den Bergen liegt Licht, in den Tälern die Nacht.
Schön. Sehr schön.
Danke für diese Momente des gemeinsamen Glückes.

"Belo", fragt Tino, als wir wieder zurück kommen.
"Muito belo", ist die einstimmige Antwort von Eva und mir.
Tino bietet uns Ovos fritos an, was wir gerne annehmen.
Mit weichem Pao branco den Dotter aus dem Teller wischen, mmh, schmeckt lecker.
Bei der Verabschiedung deutet Tino nach Norden, "Ola, diese Wolke gefällt mir gar nicht. Haltet eure Wetterjacken bereit, wenn der Wind weiter so ansteht ist die Möglichkeit auf einen kalten Regenschauer groß."

Der kühle, sonnige Morgen lässt meine Eva jubeln, wandert sie doch bei solchen Gegebenheiten noch einmal so frei.
Ein gut zu begehende Pfad führt uns zu Homem em Pe, die Sicht auf Porto Santo ist uns leider, wegen einer dunklen Wolke, nicht möglich.
Auf dem Weiterweg in Richtung Queimadas kommen wir tatsächlich in diese Wolke, es wird kalt, es regnet, so wie es Tino vorausgesagt hat.
Der Regen wird heftiger, ein böiger Wind kommt hinzu.
Wir verkriechen uns hinter einen der Felsen.
Dicht gedrängt, am Boden sitzend, erleben wir ein Schneegestöber mitten im Sommer.
Schon bald aber ist der Spuk vorbei, der Wind flaut ab, die Sonne erwärmt wieder Madeira.

Bei Queimadas machen wir eine Essenspause, verzehren den Rest Cueijo da Ovelha, füllen unsere Wasserflaschen auf und begeben uns auf den Pfad, der steil hinunter nach Santana führt.
Senhor Carlos und Senhor Rodrigo machen, hinter dem Steinhaus, Kartoffel aus. Sie reden aufgeregt und gestikulierend mit einander.
Beide bemerken uns erst als wir schon dicht bei ihnen stehen.
"Boa tarde, ihr kommt spät", so werden wir empfangen. Wir berichten über die Unbilden des Wetters am Berg.
Senhor Rodrigo erzählt von einem Nachbarn, der ähnliches Wetter auch schon einmal, in den Bergen oberhalb Santanas, erlebt hat.
Senhora Fernanda und Senhora Bela sitzen vor dem Casa do Colmo und sticken beide an einer Tischdecke.
Das Radio sendet, wie an jedem Nachmittag unter der Woche, uma Novela, deren Folgen, von den Frauen, aufmerksam verfolgt und nur im Ausnahmefall versäumt wird.

Nach dem Abendessen bügelt Salome die Tischdecke, legt sie akkurat zusammen und bindet eine rote Schleife um.
Das Bügeleisen wird gefüllt mit der Glut, von der offenen Kochstelle im Steinhaus. Um die Temperatur hoch zu halten muss die Büglerin, von Zeit zu Zeit, durch kleine Löcher an der Rückseite des Eisens blasen.
Auch hier, auf der Nordseite der Insel, sind es die Männer die die Musik machen, die Frauen singen und tanzen dazu.
Am späteren Abend aber, haben Senhora Fernanda und Senhor Carlos ihren ganz speziellen Auftritt.
Im Duett. Er spielt o Rajao, sie a Castanhola. Beide singen dazu, Fado, so wie sie dies schon in ihrer Jugend geübt und vorgetragen haben.
Lieder aus ihrem Heimatdorf Porto da Cruz, die sich, nach ihrer Aussage, wesentlich von den Liedern der Südseite unterscheiden.
Für uns Mitteleuropäer, Eva und mich, ein besonderes Erlebnis.
Senhor Carlos in seinem Element.
So entrückt, aber dennoch beherrscht, habe ich ihn ein weiteres Mal weder gesehen noch erlebt.
Wer bisher meine Erinnerungen aufmerksam gelesen hat, möge sich ein eigenes Bild von diesem wunderbaren Menschen erstellen. Beschreiben möchte ich ihn hier nicht.

Freitag ist Abschiedstag.
Abschied von Gastgebern die uns das Familienleben, auf der Nordseite Madeiras, nahe gebracht haben.
Eva bekommt von Salome ein Paket geschenkt, "Eine Erinnerung an Santana."
Was da wohl verpackt ist?
Es fühlt sich weich an, weich wie mehrere Lagen Tuch.
Fermino fährt seinen Transporter, Senhora Bela und Senhor Carlos sitzen bei ihm, auf der kurzen Fahrt zur Bushaltestelle vor der Kirche.
Heute darf Eva bei mir auf der Ladefläche Platz nehmen, bei uns liegen zwei Säcke, einer mit Batatas, der andere mit Pepinos e Couve verde gefüllt.
Wieder wird alles auf dem Linienbus verstaut, jeder Fahrgast sitzt auf seinem Platz und der Schaffner ruft "seguir."

Madeira maravilhosa

Adeus:
Tiago

Zuletzt bearbeitet am 30.12.15 11:05

09.09.15 11:02
Torwarttrainer 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Winterurlaub(Teil 1)

Endlich
Weihnachtsfrühstück
Nachmittagsmesse

Bom dia

Heute hat das Warten ein Ende. Es ist Donnerstag der 18., eine Woche vor den Weihnachtsfeiertagen.
Der Flieger, in Frankfurt, ist startbereit. Eva, beide Kinder und ich an Bord, Madeira im Kopf und los geht’s.
Unsere Sitzplätze sind natürlich auf der rechten Seite, um so früh als irgend möglich die Lieblingsinsel zu sehen.
Unter uns Porto Santo, aber dann, noch bevor Inselneulinge Madeira erahnen, wissen wir schon, DA IST SIE.
Zu unserem Ankunftsritual gehören drei Dinge:
a) Applaus für die geglückte Landung
b) Vor Santa Cruz anhalten, Meeresblick genießen und Salzluft schnuppern
c) Miradouro do Pinaculo anfahren, Funchal und Igreja de Santo Antonio sehen.
Mit Melanie, jetzt drei Jahre alt, waren wir schon mehrmals auf der Insel, für Stefan, vor gut einem Jahr geboren, ist es die Premiere.
Unsere Gastgeberfamilien sind hin und weg. Dieser Empfang übersteigt an Emotionen alles Bisherige. Es scheint als wären wir nie fort gewesen. Schön ein solches Urlaubsdomizil zu haben.

Auch auf Madeira sind die Tage vor Weihnachten mit Vorbereitungen für das Fest reichlich ausgelastet. Alle Familienmitglieder, sowie auch wir Urlaubsgäste, sind in die Besorgungen und Tätigkeiten einbezogen.
Mit einem Besuch des Weihnachtsmarktes, dem Schlachttag und dem Plätzchenbacken vergehen die Tage vor dem Fest, ähnlich wie zu Hause.
Etwas besinnlicher geht es beim Aufbau der Weihnachtskrippe zu. Auf der Terrasse, in einer Ecke von altem Haus und Anbau, wird Bambus aufgestellt und mit Packpapier verkleidet. Wobei hier die Gebirgslandschaft der Insel nachgestellt wird, mit Höhlen und Schluchten, mit Lombas e Ladeiras.
Mit Farbe wird ein Ribeiro und auch Grünfläche aufgemalt. Selbst hergestellte zierliche Tonfiguren, sowie Häuser und Hütten werden auf der Anlage verteilt. Der zentrale Geburtsstall wird von der Rückseite mit einem Strahler aufgehellt.
In vielen Haushalten auf Madeira ist solch eine private, persönlich individuelle Krippe, zu bewundern.
Dazu kommen, hier auf dem Anwesen unserer Vermieter, noch die Geräusche und Stimmen der Hühner und eines Hahns, der Tauben, der Ziegen, mitunter das Bellen der freilaufenden Schäferhündin sowie das Schnurren der beiden Katzen. So dass die Idylle anheimelnd, ja sogar liebreizend wirkt.
"Etwas fehlt aber dennoch", sage ich zu Eva. "Ja, das Grunzen der Schweine fehlt."
"Oh ja, auch hier, kein Paradies ohne Schattenseite", erwidert sie.

An Heiligabend gehen wir alle nach Igreja de Santo Antonio zur Christmette. Ein Großereignis für die gesamte Kirchengemeinde. Schon der Vorplatz ist, vor allem von jungen Leuten, dicht besetzt. Im Sakralbau selbst, gibt es, schon vor Beginn der Mette, keinen freien Platz mehr. Wer zu spät kommt muss sich mit dem Eingangsbereich zufrieden geben. Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen und deshalb auch sehr viel Unruhe. Dieser Bereich hat aber den Vorteil, dass die dort Anwesenden frische Luft einatmen. Was für uns, die wir auf einer Kirchenbank sitzen, etwas später auch nötig wird.
Das Krippenspiel wird mit dem ihm gebührenden Respekt und Aufmerksamkeit verfolgt. Die Darsteller, ob Erwachsene oder Kinder, bekommen ihren verdienten Szenenapplaus.
Wie verhält sich das "Jesuskind?" Ist es ruhig, lacht es oder beginnt es zu weinen? Besonderer Gesprächsstoff, für diesen Abend, ist dies allemal und wird auch noch am nächsten Tag angesprochen. Denn alle Festbesucher scheinen zu wissen, wessen Säugling in diesem Jahr das Christkind darstellen darf.

An beiden Feiertagen sind wir von unseren Gastgebern zum Festtagsfrühstück, mit Carne de Vinho e Alhos, eingeladen. Zuvor für jeden eine Laranja, dazu süßen Cacau, der nicht nur den Kindern schmeckt und als Abschluss Aguardente de Cana.
Traditionell bereitet Senhora Bela das Fleisch, mit einer Schicht Brot als Unterlage, im Eisentopf an der offenen Feuerstelle zu. Auch der Kakao wird auf dem Rost über dem Feuer warmgehalten.
Bisher hatte die Familie Jardim immer zwei Schweine im Stall, aber in diesem Jahr nur eines großgezogen. Warum?
Wie Eva mir am Nachmittag erzählt, hat sie während der Essenszubereitung, Senhora Bela und Umberta, die auch an der Kochstelle mithilft, nach dem zweiten Schwein gefragt. Hat aber nur eine ausweichende Antwort bekommen, die etwa so lautete: Sie möchte sich doch dazu an Senhor Carlos wenden, er erlebte den auslösenden Moment.
Also fragen wir Senhor Carlos danach. Er spricht dann zu uns in ruhigem, nachdenklichem Ton.
"Am Schlachttag, im vorigen Jahr, holte ich ein Schwein aus dem Stall und wie immer kommt es auch dieses Mal zu einem heftigen Aufschrei bei den Tieren. Ich spürte sofort, irgendetwas ist heute anders, drehte mich um und sah wie dem zurückbleibendem Schwein Tränen aus den Augen über die Backen liefen. Kein Mensch kann je ein Tier trösten, niemals."

In diesem Augenblick beginnt in der Igreja de Sao Roque die Nachmittagsmesse, die mittels Lautsprecher bis herüber zu uns, nach Santo Antonio, gut zu hören ist.

Madeira maravilhosa

Ende: Teil 1

Adeus:
Tiago

22.09.15 12:54
Torwarttrainer 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Winterurlaub (Teil 2)

Eiszapfen
Badefreuden
Zwillinge

Boa tarde

Über Nacht ist Schnee gefallen, feiner Schnee. Ein unberührtes Weiß nimmt des Himmels Blau auf, bedeckt die Berge.
Hier oben, am Gipfel des Pico do Arieiro, ist es kalt, eisig kalt. Am Stahlgittermasten glänzen Eiszapfen in der Sonne. Einige lösen sich während unserem Aufenthalt und fallen krachend zu Boden.
Dennoch soll dieser Tag für uns vier Mitteleuropäer ein Vergnügen werden.
Unser Wirbelwind Melanie ist ganz ausgelassen. Sie möchte genau wie ich einen Indianer in den Schnee zaubern. Also auf den Rücken legen, die Arme gestreckt zur Seite und über dem Kopf zusammenführen. Tatsächlich, ein kleiner und ein großer Häuptling.
Auch Stefan, der schon sehr gut laufen kann, möchte es uns nachmachen. Na ja, weil er es ist, noch ein Häuptling.
Was ist für Kinder Schnee ohne einen Schneemann? Die Kinder schaffen den Schnee herbei und Eva moduliert die Figur. Oder ist es nur ein Figürchen? Auf jeden Fall sind danach ihre Hände kalt und die Wangen rot.
Zur Belohnung gibt es, in der Pousada, heißen Kakao für Alle.
Danach geht es nur noch bergab. Nicht mit uns, sondern auf der Fahrt mit dem Auto.

Unser kleines Mietauto parken wir am Largo do Socorro, gehen, leichten Fußes, die paar Meter zur Treppe und dann wesentlich beschwerlicher, ja beinahe schon gefährlich, hinunter zu Praia da Barreirinha.
Hier unten ist herrlicher Sonnenschein, das Meerwasser, zwar erfrischend, aber nach einiger Anpassungszeit doch angenehm.
Wo ist das noch möglich? Am Morgen im Schnee und am Nachmittag, nur wenige Kilometer entfernt, Schwimmen im Ozean.

Zum Jahreswechsel sind wir bei Bekannten zu Gast, deren Haus im Beco da Brangala steht. Von hier oben ist die Ansicht des nächtlichen Funchal überwältigend.

Bei einem Spaziergang, im Neuen Jahr, in Achada do Gramacho, sprechen wir eine junge Frau an, die mit ihren zwei Buben auf dem Feld arbeitet. Sie erzählt uns dass ihre Jungs, Zwillinge sind und Ende Januar drei Jahre alt werden. Sie räumt das Gerätehaus auf, wird es dann ihrem Bruder übergeben und zum Geburtstag der Kinder, mit ihnen, schon in der Nähe von Paris, bei ihrem Mann sein. Er arbeitet dort, seit mehr als zwei Jahren, als Angestellter in der Automobilindustrie, konnte nun ein kleines Haus kaufen, indem die Familie ihr unterbrochenes Glück fortsetzen will.
Nein, schwer fällt ihr der Abschied von der Insel nicht. Sie ist voll Zuversicht für die Zukunft in Frankreich.
Bei einem Glas Wein beschreibt sie uns den mühseligen Tagesablauf und die Unbilden des Wetters, hier, auf der Nordseite Madeiras.
Natürlich freut sie sich, wieder bei ihrem Mann zu sein, den die Zwillinge noch nicht erleben durften.
Wir rufen nach Melanie die mit den Buben im Freien spielt und verabschieden uns mit vielen guten Wünschen von der Frau und ihren Jungs. Auch Stefan bekommt zum Abschied mehrere Küsschen.
Im Sommer, etwa 38 Jahre später, spazieren Eva und ich erneut in Achada do Gramacho. Vor einem schmucken Neubau gießt ein Mann Blumen und pflegt den Rasen. Ihn fragen wir nach einer Familie mit Zwillingen, welche hier in der Gegend wohnte und vor langer Zeit nach Frankreich auswanderte. Er gibt keine Antwort, sieht uns mit großen Augen an, dreht sich um und ruft: "Filomena, Filomena, vem a qui, por favor."
Eine Frau tritt aus dem Haus, wir sehen uns an und ja, tatsächlich, sie ist es.

Madeira maravilhosa

Adeus:
Tiago


P.S.
Den letzten Abschnitt meiner obigen Erinnerung möchte ich "iris" widmen.
Sie hat mich überzeugt, in meinen Urlaubsnotizen zu kramen und den Interessierten im Forum anzubieten.
Ob dies ein guter Entschluss war, mögen Andere entscheiden.
Außerdem spaziert sie gerne, wie auch wir, auf Travessas e Becos um dort mit "kleinen" Leuten zu kontaktieren.

22.09.15 16:06
iris 

Administrator

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren


iris

23.09.15 21:01
wauzih

nicht registriert

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Hallo Tiago,
ich denke mal, daß Du einem gar nicht mal so kleinen Teil der hiesigen Community mit Deinen Erinnerungen sehr lesens- und wissenswerte Erlebnisse und Erfahrungen aus einem Teil Madeiras nahegebracht hast, von denen man auch als etliche-Male-Besucher der Insel keinen blassen Schimmer hat,
von denen man auch in keinem Reisebericht oder einer Dokumentation lesen kann.

Dafür ein herzliches "Dankeschön",
und ich hoffe mal, daß in Deinem Schatzkästchen noch das Eine oder Andere ist, was wir noch erwarten können.

*tschaui* & *obrigado*
das wauzih

24.09.15 21:00
Hans 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Hallo Tiago,

ich kann mich dem Beitrag von wauzih nur anschließen und muss sagen, dass dein Winterurlaub Teil 2 lange auf sich warten ließ

Es wäre schön wenn du weiterhin noch ein bisschen kramen würdest damit wir uns noch viele deiner Geschichten reinziehen können.

Servus
Hans

14.10.15 18:51
Torwarttrainer 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Mitleid
Papiertischdecke
Nur ein Weinglas

Boa tarde

"Baleias", schon einige Tage gibt der Rundfunk über den Wanderweg der Walherde Auskunft. Auch hier oben, im Anwesen Jardim e Amaro, hört man angespannt zu.
Werden die Wale wirklich in die Nähe Madeiras kommen?
"Ola, direkt betroffen sind wir davon nicht", erklärt uns Umberta, "aber wir kennen die Schwester, des Kommandanten der Walfangstation, sehr gut. Sie ist die Inhaberin des Instituto de Corte, unten in Funchal. Von ihr bekam ich, nach zwei Jahren Ausbildung, mein Diploma überreicht. Sie wird uns informieren, wenn die Walfänger erfolgreich waren."

"Baleia", dieser Name bedeutet für viele Menschen in Canical Arbeit und Lohn.

Schon in der kleinen Ortschaft lässt der unangenehme Geruch erahnen, was da weiter im Osten abläuft.
Das Mietauto stellen wir, Eva und ich, kurz nach dem letzten Haus, da wo der Erdweg endet, ab und gehen die restliche Strecke querfeldein.
Schon von weitem ist ein qualmender Schornstein und eine Wellblechbaracke zu sehen. Über allem ein beißender Gestank, der uns den Atem nimmt. Nun hören wir auch das nageln eines Dieselmotors und das Schreien vieler Männer.
Drei Pottwale wurden in der vergangenen Nacht von Baleeiros eingebracht, deren Speck gleich hier, in großen Eisenwannen, ausgekocht wird. Außerhalb der Baracke steht eine Seilwinde, etwa drei auf drei Meter in der Fläche und nahezu zwei Meter hoch. Rostig rot, so haben wir die Gussteile der Winde in Erinnerung, an deren einzigem Hebel, ein Mann die Geschwindigkeit des Stahlseiles regelt.
Einen der Wale hatte man schon, über eine betonierte Rampe, nach oben gezogen und zerlegt. Von diesem Tier ist auch das viele Blut, welches die Freifläche bedeckt.
Aufgeregt gibt o Comandante Anweisungen, denn der nächste Wal hängt am Seil und wird aus dem Meer gezogen.
Einige Männer gehen neben der Beute und schaben das Tier mit ihren Messern ab. Mehrere Frauen und Kinder, mit Eimern, laufen hinterher und sammeln ein was sie gebrauchen können. Vielleicht wird das Abgeschabte und Gesammelte zum Angeln oder als Hühnerfutter verwendet.
"Komme bitte, lass uns von hier weggehen." sagt Eva, "Ich kann dieses Szenarium nicht mehr ertragen. Ich weiß, dass weltweit mit Meeressäugern noch brutaler umgegangen wird und obwohl es für die Menschen hier oft der einzige Broterwerb ist, frage ich mich, muss das sein?
Nun lassen sich auch noch einige Effekthascher an einem hochgestellten Unterkiefer ablichten. Aus meiner Sicht ist das geschmacklos.
Mir tun diese Tiere leid."

Nun sind wir schon einige Zeit zu Fuß unterwegs.
Auf dem Weg, zur Ponta do Rosto, verringert sich allmählich die enorme Beeinträchtigung unseres Geruchorganes. Die vorherrschend steife Brise wird wohl auch den Gestank aus unseren Klamotten blasen?
Hier zeigt Ilha da Madeira, beim Blick in die Tiefe, ihre Entstehungsgeschichte, diese Farben, diese Eindrücke.
Zwei Winzlinge Mensch umarmen sich und staunen und bewundern.

An den Schöpfer der Welt, dieser Natur: "Danke."

Auf dem weiteren Weg, zur nächsten Anhöhe, kommen wir an ein eingezäunt weitläufiges Areal.
Wir gehen an dem Zaun entlang, bis zu einem offenen Tor, an dem ein uniformierter Wachtposten uns den Zugang verwehrt.
Dies gehört auch zu "unserer Natur."

Dem Wirt unten im Dorf ist es deutlich anzumerken, dass er sich auf die nächsten Tage freut.
So wie er erzählt, haben einige der Fischer bei ihm anschreiben lassen, andere Familien waren schon lange nicht mehr zur Einkehr bei ihm.
Das wird sich jetzt, da die Walsaison begonnen hat, wohl ändern.
Er und seine kleine Küche sind dafür bereit. Die Vorräte sind ausreichend gelagert, die Papierdecken liegen auf den Tischen, seine Frau hat die Schürze umgebunden, es kann losgehen.
Nach dem Essen müssen wir erst mal kräftig durchatmen.
Eva schreibt auf einen Zettel(portugiesisch) - Ein großes Lob an Ihre Küche, die Speisen die Sie zubereitet haben waren reichlich und überaus wohlschmeckend, wir haben uns bei Ihnen sehr wohlgefühlt - dois Alemaes

Montag und Dienstag waren wir mit Silvester, auf der Nordseite, wandern.
O sim, anstrengend und mitunter gefährlich.
Den Mittwoch richteten wir uns ein, um Azinhagas, Travessas e Becos zu erkunden. Was sehr oft und überall auf der Insel, zu einem Erlebnis der besonderen Art, mit Natur, Tier und Anwohnern, werden kann.

Heute, am Donnerstag, sind wir von Senhor Carlos zur Bananenernte eingeteilt.
Na ja, allzu viele Arbeit fällt für uns nicht an.
Eva steht oben an der Straße, auf dem Lastwagen und registriert, gemeinsam mit dem Obsthändler, den Wiegevorgang.
Ich habe die Aufgabe, die Baumterrassen während und nach der Begehung wieder in Ordnung zu bringen.
Die mühsamste Tätigkeit haben die Träger.
Auf einer Schulter die schwere Last tragen, durch das terrassierte Gelände gehen, dann die schier endlosen Stufen hoch, die Frucht auf die Ladefläche hieven, es gibt Leichteres.
Ob sie ihren Chefe, den Händler, zufrieden stellen?

Die Schäferhündin "Maravilha" läuft nahezu jeden Weg der Bananenträger mit, wenn sie nett angesprochen wird, macht sie noch einen freudigen Extrasprung und bellt dabei.

Nach der Arbeit bieten Senhora Bela und Umberta Milho cozido, Sardinhas fritas e Molho de Vinagre an.
Arbeiter, Patrao und Helfer sind hungrig. So dass nichts von dem Angebotenen übrig bleibt.

Zum Abschluss, in großer Runde, schenkt Senhor Carlos noch einmal von seinem Vinho ein.
Obwohl während des Essens schon reichlich getrunken wurde, verweigert niemand das Glas. Wohl gemerkt, nur ein Glas macht die Runde, so dass der Trinker immer auf ex trinken muss, da der Nächste schon auf das Glas wartet.

Wessen Augen dabei wohl strahlen? Sehe ich da auch ein verschmitztes Lächeln? Bewegt sich der Schnurrbart?

Madeira maravilhosa

Adeus:
Tiago

15.10.15 07:34
amazonas

nicht registriert

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren

Hallo Tiago,

es ist immer beeindruckend, was du da "zu Papier" bringst! Ich fühle zurückversetzt in meine Kindheit, auch wenn meine Erlebnisse anderer Natur waren. Etwas Melancholie klingt immer mit. Vielen, vielen Dank!

Gruß

Walter

24.10.15 11:40
Torwarttrainer 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren,

Sonntag am Meer
unverändert

Boa tarde

Heute hat jeder etwas in den Händen. Ich trage unseren Sohn Stefan, er trägt seinen bunten Stoffkaspar. Eva hat unsere Tochter an der Hand und Melanie ihre neu eingekleidete Puppe. So steigen und rutschen wir vier den anderen nach, über die Kuppe, über die rote Erde den steilen Abhang hinunter. Vorbei an einem Bambushain bis zu den großen, dem Ufer vorgelagerten Steinen.

Am Meer zwischen Ponta da Cruz e Vitoria, einen Tag gemeinsam mit unseren Freunden verbringen. Weit abseits jeglichen Alltags, jeder Zivilisation. Die Stunden in Ruhe, nur mit Mitgebrachtem oder dem was das Meer uns gibt, genießen.
Na ja, ruhig ist es hier nicht, das Rauschen der Wellen, das Rollen der Steine. Wer von uns kennt nicht diese Naturgewalt des Atlantiks hier vor Madeira?

Mit Bambus bauen wir uns zunächst einen größeren Unterstand der uns als Sonnenschutz gute Dienste tut.
Feuerholzsammler haben wir zur Genüge. Senhora Bela hält ihre Enkelkinder Pedro und Lydia an, umliegendes Schwemmholz einzusammeln. Selbst der kleine Paulo möchte sich daran beteiligen. Die Kinder und auch ihre Mutter Umberta bringen Holz das zum verbrennen fast zu schade ist, so dass Eva einiges davon zur Begutachtung aussondert.

Senhor Carlos und Jose stehen derweil schon auf den vorgelagerten Felsen. Eine Bambusrute, eine Schnur mit Haken, so wollen sie Fische fangen. Ob der starken Wellen, die gegen das Ufer peitschen, bin ich da sehr skeptisch. Wenn beide nicht erfolgreich sind gibt es zu Mittag nur Couve branca e Batatas. Zunächst scheint Jose der erfolgreichere Angler zu sein, denn schon bald hat er in kurzer Folge zwei Fische mittlerer Größe gefangen. Sein Schwiegervater nickt nur dazu, "bom, bom." Er steht hoch über einer Stelle an der die Brandung heftiger, ja schon furchterregend ist. Nun verlässt er diesen hohen Platz und klettert den Felsen hinunter, so dass wir ihn nicht mehr sehen können.
Senhora Bela faltet die Hände, ihr Mund zittert, mit bangem Blick starrt sie zum Meer.
Völlig durchnässt, mit seinem bekannten, verschmitzten Lächeln auf den Lippen, kommt Senhor Carlos auf uns zu. Auf die Steine, direkt neben der Feuerstelle mit dem Grillrost, legt er seinen Fang nieder. Einen großen Fisch.

Ist es denn möglich dass jemand bei diesem Getöse einschläft?
Stefan kann das. Schön für unseren Kleinen.
Bei Melanie ist es eher ein kurzes Einnicken, das bei dem andauernden rumpeln der Steine bald schon wieder beendet ist.
Dadurch verpasst sie auch nicht den Nachtisch aus dem gut gefüllten Weidenkorb. "Früchte, alles aus dem eigenen Jardim", wie uns Umberta stolz mitteilt. Reife Bananas, rotbackiger Maca, aromatische Mangos e saftige Maracuja, ein Früchtekorb wie in Jardim do Paraiso.

Nahe der Stelle an der Jose Anglerglück hatte, heben wir Männer eine Grube aus. Räumen Steine zur Seite, so dass das ruhigere Wasser von unten her immer wieder nachfliesen kann. Gerade groß genug, um den vier kleineren Kindern Platz für eine Abkühlung zu bieten. Auch Senhora Bela macht sich hier die Füße nass. Nur versierte Schwimmer gönnen sich ein Bad im Ozean.

Die Kinder sind mit Spielen beschäftigt, die Frauen mit Handarbeit. Senhora Bela stickt an einer kleinen Decke, welch eine präzise Tätigkeit. Eva ist mit ihrer Häkelarbeit zu Gange und Umberta stickt an einem Gobelin, welches kurz vor der Fertigstellung steht.
Wir Männer, Angler und Sammler, sind anderweitig beschäftigt.
Der Gezeitenstrom hat jetzt nahezu seinen tiefsten Stand erreicht, Zeit um Lapas zu ernten.
Nicht ungefährlich was wir hier tun. Die glitschigen Steine, der raue Fels, die Gischt und die sich brechenden Wellen machen den Erfolg nicht einfach. Mit Spachtel und Taschenmesser, vor allem aber mit Geduld, so füllen wir die Stoffbeutel. Auch Pedro beteiligt sich daran. Trotz anfänglichem Einspruchs seiner Mutter, ist er mit großem Geschick bei der Sache.
Die ersten Lapas muss ich einfach roh genießen.
Bevor die übrigen in der Bratpfanne zu Lapas fritas werden gibt Senhora Bela Tomates, Cebolas, Alhos e Azeite in die Pfanne. Die Masse wird leicht angeschwitzt, mit Vinho Tinto abgelöscht, die Lapas dazu, sieht gut aus. Ein verführerischer Duft steigert unsere Ungeduld.

Die Zeit des Aufbruchs ist gekommen. Aufräumen, alles einpacken, hochklettern. Und auch dieses Mal hat wieder jeder von uns etwas in den Händen.
Lediglich die Laubhütte bleibt in der Abgeschiedenheit zurück.

Madeira maravilhosa

Adeus:
Tiago


PS: Familienurlaub 2014
Zwei Enkel, Melanie mit Mann, Stefan mit Frau, wir, Oma Eva und Großvater Tiago, sowie Umberta e Jose, stehen am Rande a Estrada Monumental.
Sehen hinunter auf den Ort, Praia Formosa e Praia do Vigario, an dem wir vor etwa vierzig Jahren einen bis heute unvergessenen Sonntag mit lieben Menschen zugebracht haben.
Anstelle unserer Bambushütte, protzen dort pompöse Hotelanlagen. Anstelle der Einsamkeit und Ruhe, herrscht hier reger Autoverkehr und
hektische Betriebsamkeit.
Schade!
Oder?
Ist von damals noch etwas geblieben?
Zwei blanke Schwemmholzstücke, welche die Kinder sammelten, zieren noch heute unseren Brunnen im Vorgarten.
Das Rauschen der Wellen, unverändert.

Saudade

Zuletzt bearbeitet am 30.12.15 11:00

24.10.15 15:40
Hans 

Madeira-Riesenfingerhut

Re: Persönliche Erinnerung aus den frühen siebziger Jahren,

Hallo Tiago,

ich bin ja nicht der geborene Vielleser aber bei deinen Geschichten könnte ich ohne Zweifel noch einer werden und ich freu mich bereits auf deine nächste Geschichte.

Servus
Hans

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